Geschichte des Palasts

Geschichte der Familien von Mitzlaff

und von Schwerdtnerauf

dem Gut Großendorf  

Krs. Stolp in Hinterpommern

für ihre Schwestern Mechthild, Ega und Angelika von Christina Brigitta Schwerk-von Schwerdtner

Großendorf war ein Mitzlaffsches Gut und kam durch meine Großmutter väterlicherseits Brigitta v. Schwerdtner, geb. v. Mitzlaff  in die Schwerdtnersche Familie. Mitzlaffs sind eine seit dem 14. Jahrhundert urkundlich bekannte pommersche Adelsfamilie im Kreis Stolp. Über Jahrhunderte stellten sie immer wieder den Bürgermeister in Stolp, wurden hohe Militärs schon im 30-jähr. Krieg, später in preußischen und  auch in schwedischen Diensten, Ursprünglich mit dem Gut Karzin belehnt, westlich von Stolp, haben sie immer wieder Güter im Kreis Stolp gekauft und verkauft. Das Gut Karzin ging später an die sehr bekannte pommersche Familie von Bonin, die eng mit den Mitzlaffs verwandt ist.

Im Jahr 1800 kaufte Ernst Gustav von Mitzlaff (1763-1849) Großendorf. Mit Friderike von Braunschweig hatte er 13 Kinder und wohnte in Viatrow an der Lupow, angrenzend an Großendorf. Ihm gehörten  außerdem die benachbarten Güter Bewersdorf und Dammen, natürlich Viatrow und das zu Großendorf gehörende Vorwerk Dochow.

Sein ältester Sohn, Eugen, (*1802) bewirtschaftete Großendorf ab 1832. 1842 brannte das Schloß bis auf die Grundmauern nieder. Eugen baute es in kürzester Zeit wieder auf  und die Außenhaut ist heute unverändert – mit dem niedrigen Erdgeschoß (um Heizkosten zu sparen) und dem unvollendeten 2. Turm....Nach dem Tod des Vaters erbte Eugen das Gut 1849.

Für das Erbe Großendorf kam sein ältester Sohn Albrecht in frage, der deshalb nach seinem Jurastudium eine landw. Ausbildung absolvierte. Ernst aber hatte eine glänzende Karriere als Offizier vor sich. Wahrscheinlich auch deshalb hielt der Vater seinen jüngsten Sohn Ernst für geeigneter als Gutsbesitzer und Betriebsleiter und geschickter im Umgang mit Menschen.  Beide Söhne ahnten nichts von diesen Überlegungen. Als Eugen v. Mitzlaff 1888 starb, hatte er Ernst als Alleinerben für Großendorf und Dochow eingesetzt.- Für Albrecht, den ältesten Sohn war diese Entscheidung eine Katastrophe, aber er hat sich vorbildlich damit abgefunden. Ernst bot ihm bei der Testamentseröffnung an, auf das Erbe zu verzichten, aber Albrecht respektierte den letzten Willen des Vaters ohne jede Einschränkung und lehnte ab.  Nie gab es ein angefochtenes Testament oder gar Bruderkrieg. Daß Ernst aber ausschließlich Töchter hatte und Albrecht Söhne, machte die Situation in der nächsten Generation schwierig. Ernst von Mitzlaff,  mein Urgroßvater starb 1908 und er hinterließ das Gut meinem Vater, seinem damals 1-jährigen und einzigen Enkel Achaz von Schwerdtner. Vorerben wurden natürlich die 3 noch lebenden  Töchter. Die Älteste, Ehrengard, heiratete ein Jahr später den Juristen Nikolaus von Gerlach und er übernahm die Verantwortung für das Gut Großendorf. Leider hatte er von Landwirtschaft keine Ahnung und wirtschaftete das Gut mit Hilfe unfähiger  und z. T. krimineller Verwalter in 20 Jahren in Grund und Boden. Immer  behauptete er, eigentlicher Erbe des Gutes sei der 1. Sohn der ältesten Tochter, also sein ungeborener Sohn. Da Ehrengard aber keine Kinder bekommen konnte, war eben doch Achaz, also mein Vater, der Alleinerbe. Er wurde von Gerlachs 1926 (mit 19 Jahren) adoptiert, kurz nach dem Unfalltod seiner Mutter Brigitta. 1929 war das Gut nicht mehr zu halten.

Mein Vater Achaz hatte zu diesem Zeitpunkt als Landwirt einen 5-Jahresvertrag beim Kalisyndikat in Schanghai/China, aber mein Großvater Fritz-Leo von Schwerdtner   tat alles, um das Gut aus der Konkursmasse zu retten, was ihm mit dem Verkauf von 100 ha Land und  einer gewaltigen Kreditsumme gelang. Diese Schulden abzutragen, wurde der Auftrag meiner Eltern, die das 900 ha große Gut mit dem Vorwerk Dochow im Frühjahr 1932 übernahmen, nachdem mein Vater Achaz vorzeitig aus China zurückgekommen war.

Unsere Eltern hatten 1932 in Schanghai geheiratet. 1933 wurde Ernst geboren, 1934 ich, 1938 Mechthild 1939 Detlev, 1941 Ega und 1944 Angelika. -

Die erste große Sparmaßnahme wurde die Vermietung des Schlosses ans Landjahr. Unser Großvater behielt den 1. Stock des rechten Flügels, wir zogen ins Verwalterhaus am anderen Ende des Hofes und ins „Große Haus“ zogen 14-jährige Mädchen aus der Stadt, die obligatorisch als Stadtkinder ein Jahr auf dem Land verbringen mußten mit Feld- und Gartenarbeit, Volkstanz und Sport, Werken, Handarbeit, Kindererziehung u.a. 

Pferde spielten in meiner Kindheit eine Riesenrolle. Die ersten Voltigier- und Reitstunden hatten wir mit unserm Vater auf der großen Wiese hinter dem Schloß.  Das 1. eigene Pferd bekam Ernst zu Weihnachten1942. Bald ließen die Eltern einen luftbereiften Ponywagen bauen, mit dem wir schönste Touren machten, Ernst immer als Kutscher, vor allem als es noch ein  zweites braunes Panje-Pony dazu gab.  Später trugen wir unsere Reiterwettkämpfe mit Ritten um das Rondell vorm Großen Haus aus, rund um die Rieseneiche. Das bescherte mir eines Tages einen Schlüsselbein-bruch mit heftigsten Schmerzen, da ich erst am nächsten Tag zum Arzt nach Stolp konnte.

Die Schule war gegenüber dem großen Sandberg, gleich auf der anderen Seite der Dorfstraße. Ich kam mit 5 dorthin und hatte maßlose Angst, weil alle älteren Kinder nur Schlimmstes von der Schule erzählten. Es gab für die 6-14Jährigen nur 2 Klassen in einem Raum: links 5-8 und rechts 1-4. Es waren ca 30 Schüler, unterrichtet wurde immer nur eine Seite und alle anderen kriegten stille Aufgaben. Unser Lehrer „Herr Storch“ war nicht gerade zimperlich mit Strafen. Da aber Petzen als eine Todsünde galt und Schuld zugeben als dämlich verpönt war, gabs fast immer Klassenkeile. Die Mädchen kriegten Stockhiebe auf die flache Hand und die Jungs auf den Hintern. So einfach war Pädagogik damals.-

In diesem Etablissement hatte ich schon nach 3 Jahren ausgelernt. Mein um 1 Jahr älterer   Bruder Ernst mußte aufs Gymnasium (das nächste war in Stolp) und da er sehr zart war, wollte unsere Mutter ihm das nicht zumuten und wir bekamen eine Hauslehrerin. Sie unterrichtete uns beide in der 5. Klasse und wir haben sie sehr gepiesackt. Unser Tag ging los mit Frühsport, den sie vorzugsweise als Laufsport vor allen Landarbeitern begann, die zur Arbeitseinteilung im Hof standen. Mir war das ganz furchtbar, aber Ernst begriff den Witz der Situation und amüsierte sich ebenso wie alle anderen.  Heute weiß ich, daß diese Lehrerin durch Anstellungen im Ausland fließend englisch und spanisch sprach und wir an vielen Tagen nur englisch mit ihr sprechen durften.  Ihr Unterricht war total unpolitisch und das war sicher für unsere Mutter sehr ausschlaggebend. -

Der landw. Jahresablauf und das Wetter bestimmten unser Leben. Zuverlässig zu Weihnachten schneite es und am 24. früh war die Bescherung für die Landarbeiter-kinder. Sie sagten ein Gedicht auf und dann wurde -dem Alter entsprechend- beschert.  Wir bekamen unsere Geschenke erst abends. Es wurde nie etwas eingepackt. Jeder hatte einen Teil des großen Eßzimmertisches und alles war mit weißen Laken zugedeckt. Wir sangen unendliche Weihnachtslieder, die unser Vater am Flügel begleitete und die Weihnachtsgeschichte wurde vorgelesen oder von uns auswendig geliefert. Am 1. Feiertag gings im Schlitten zum Gottesdienst nach Glowitz. Wir saßen immer auf der Empore im alten Patronatsgestühl der Mitzlaffs mit dem Adlerwappen an den Lehnen.

Der normale Tag ging für uns um 7.00  Uhr los mit dem Läuten an der Klingelscheune, (die erste lange Scheune an der Dorfstraße) das die Arbeiter mit Hofmeister Radtke zur Arbeitseinteilung vor den Pferdestall rief. Alle Pferde waren da längst gefüttert und geputzt, die Mastschweine gefüttert und die Milch von 80 Kühen nach Hebrondamnitz zur Molkerei gefahren. Mittags läutete die Klingelscheune um 13.00 Uhr.

Das Frühjahr kündigte sich mit einer gewaltigen Schneeschmelze an, phantastisch zum Bootchen schwimmen lassen. Dort kam der Frühling nie in homöopathischen Dosen, sondern mit Wucht. Wenn es Frühling wurde, dann blieb er auch, wir durften barfuß laufen und Sommerkleider oder kurze Lederhosen anziehen. Draußen wurde das  Sommergetreide mit Drillmaschinen und Pferden gesät, Kartoffeln von Hand gelegt, Wrucken gepflanzt und später die Wiesen mit einem Mähwerk gemäht, das Gras täglich mit dem Heuwender gewendet, trocken zusammengeharkt, auf Leiterwagen gepackt und in den Pferdestall gefahren. Die Angst vor Regen blieb stets allgegenwärtig. Das Getreide später wurde mit dem Mähbinder gemäht und  zu Garben gebunden, dann zum Trocknen in Puppen aufgestellt und ebenso eingefahren. Gedroschen wurde ausschließlich im Winter. Frauen spielten bei all diesen Arbeiten eine große Rolle.

Eine schöne Sitte gab es bei der Getreideernte. Wenn einer von uns (von den Heefschen – den Höfischen) aufs Feld kam, bekam er ein buntes Band mit einem Gedicht in schönstem pommerschen Platt oder auch hochdeutsch um den linken Arm gebunden, wobei unbedingt der Name des Beschenkten im Reim vorkommen mußte. Alle Gäste und auch wir Kinder durften mitkommen. Auf anderen Gütern blieb diese Ehre dem „Chef“ vorbehalten. 

Nach der letzten Roggenfuhre, dem wichtigsten Getreide der Pommern, gab es ein tolles Fest: das „Altenbier“. Das ganze Gut feierte in der alten Wagenremise, wo im Sommer die Schlittenkufen und im Winter die Ackerwagenräder standen. Es gab Freibier und – Schnaps, wunderbare Dinge zu essen und Tanz mit  Schifferklavier und Klarinette. Manchmal holte unser Vater sein riesiges Akkordeon und spielte mit.

Bei der Kartoffelernte sammelten die Frauen im Akkord die Kartoffeln  in Drahtkörben, Männer schütteten sie dann  in große Kastenwagen aus. Während des Krieges sammelten auch die Gefangenen. Wir hatten zuerst Polen, dann Franzosen, Russen und Amerikaner. Sie wohnten in einem abgeschlossenen Trakt am Pferdestall.  Mutter bestand darauf, daß sie selbst kochten. Die viel zu knappen zugeteilten Essensrationen hat sie von Anfang an aus der Gutsküche ergänzt und kriegte dadurch immensen Ärger, weil der Wachmann sie anzeigte. Wir merkten nix vom Eingesperrtsein der Gefangenen, wir wußten nur, daß die Tür bei ihnen abends von außen zugeschlossen wurde und daß nie einer von den Gefangenen floh. Mutter unterhielt sich mit ihnen, obwohl das streng untersagt war, sie verband ihre Wunden, und half auch sonst medizinisch. Die Gefangenen gehörten einfach zum Gut dazu, wir kannten es ja kaum anders, denn von unseren Arbeitern waren fast alle im Feld.

Im Haus gab es immer 4 Mädchen: die Mamsell oder Köcksch, die Küchenhilfe, das Stuben- und das Kindermädchen.

Eine Riesenrolle spielten in jedem pommerschen Gutshaushalt die Gänse und alles, was sie betraf. Alle Landarbeiter besaßen Gänse und es gehörte zu ihrem Deputat, sie auf Gutsland weiden zu lassen, aber jede 10. Gans mußte ans Gut abgegeben werden, in manchen Dörfern jede 7. Wichtig wurde die Verarbeitung, besonders die Herstellung der geräucherten Spickbrust. Jede Gutsfrau hatte ihr eigenes Rauchrezept.

Diese Idylle und das Kindsein waren am 12.2.1945 zu Ende. Wir flohen nach Sachsen, wo wir die Nachricht vom Tod unseres Vaters bekamen, gefallen am 10.3. in der Nähe von Saldus-Riga/Lettland durch russische Tiefflieger. Es ist mir heute noch kaum vorstellbar, wie unsere Mutter nach einer so glücklichen und so kurzen Ehe diesen Schicksalsschlag verkraftet hat -allein mit 6 Kindern zwischen 0 und 11 Jahren und ohne Heimat.

Sie war eine großartige Frau.